
24.01.2023
Im Zuge der Anti-Corona-Proteste hat sich eine bunte Misstrauensgemeinschaft aus Querdenker*innen, Impfunwilligen, Esoterikfaszinierten, Verschwörungsgläubigen und Naturheilkundefans gebildet. Die Ereignisse der vergangenen Jahre haben auch die Verbreitung einer „Conspirituality“, einer Verschwörungsesoterik, befeuert. Spirituelles „Überwissen“ verstärkt das Misstrauen gegenüber Wissenschaft, evidenzbasierter Medizin, Medien, Politik und demokratischen Institutionen. Ein seit Jahren zu beobachtendes Einfallstor esoterischer Verschwörungsideologien ist die Bio- und Öko-Szene. Was von außen oft als naturnahes, alternatives Angebot erscheint, birgt in sich einen problematischen ideologischen Kern. Auf rechtsextreme Beeinflussungsversuche beim Naturschutz wurde in den vergangenen Jahren immer wieder kritisch hingewiesen und vor braunen Ökolog*innen gewarnt, die Bio-Höfe und Siedlungsprojekte in der Tradition germanischer Landnahme erwerben, in kleinen Dörfern das kulturelle Leben mit völkischer Deutschtümelei wiederbeleben und gezielt Zugang zu den regionalen Produktions- und Vertriebsnetzen des Bio-Fachhandels suchen (Heinrich-Böll-Stiftung MV 2012; Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen 2020). Neue Anknüpfungspunkte für eine esoterisch gestimmte Rechtsaußen-Ideologie werden bei zweifelhaften Heilungsbehandlungen und ökologisch gestimmten, sozialutopischen Angeboten sichtbar.
Allianz der Misstrauischen
Im Kontext von Querdenken-Demonstrationen und Corona-Protesten traten auch Akteur*innen einer rechten Esoterik öffentlich in Erscheinung (Pöhlmann 2021). Rechte Esoterik bezeichnet unterschiedliche Gruppen, Bewegungen und Einzelakteur*innen, die die Esoterik für die Verbreitung von verschwörungsideologisch motivierten Feindbildern sowie von antidemokratischem, rechtem beziehungsweise in sich geschlossenem Denken nutzen. Sie treten mit Vortrags- und Seminarangeboten, Publikationen sowie einer Vielzahl rechtsesoterischer „alternativer Medien“ in Erscheinung. Es handelt sich um esoterische Überwisser*innen. Sie berufen sich auf angeblich höhere Erkenntnisse oder obskure Quellen, die – so die Behauptung – von Mächtigen unterdrückt werden. Hierzu zählt etwa die hundertfach als Fälschung erwiesene antisemitische Schrift „Die Protokolle der Weisen von Zion“. Zugleich wenden sich rechte Esoteriker*innen gegen die herkömmliche Geschichtsdeutung, gegen „Mainstream-Medien“ und etablierte demokratische Institutionen und Parteien. Sie hetzen mitunter gegen die Erinnerungskultur gegenüber den Opfern der NS-Diktatur, indem sie den von Rechtsaußen geforderten Abschied vom „Schuldkult“ in esoterische Denkmuster kleiden.
Rechtsextreme und rechtsesoterische Ökologie
Seit kurzem hat die Neue Rechte das Thema Ökologie für sich neu entdeckt. „Die Kehre – Zeitschrift für Naturschutz“ heißt ein seit Frühjahr 2020 in Dresden erscheinendes Produkt, von dem bereits mehrere Ausgaben vorliegen. Es entstammt dem identitären Spektrum des Netzwerkes „Ein Prozent für unser Land“. Naturschutz gilt aus dieser Perspektive vorrangig als Heimatschutz. Umwelt- und Naturschutz werden aus neurechter Perspektive in erster Linie lokal und regional gedacht. Diese neurechte Ökologie versteht sich ganzheitlich, richtet sich jedoch gezielt gegen den globalen Klimaschutz und schließt „Kulturlandschaften, Riten und Brauchtum, also auch Haus und Hof“ (Jonas Schick, Editorial, in: Die Kehre – Zeitschrift für Naturschutz, Heft 1/2020, S. 1), ausdrücklich mit ein. An die Seite rechtsextremer Zeitschriften wie Jürgen Elsässers „Compact-Magazin“, das kontinuierlich gegen eine angeblich drohende Klima-Diktatur hetzt, treten auch rechtsesoterische Vordenker*innen wie der antisemitische Bestseller-Autor und Inhaber des Amadeus-Verlags, Jan Udo Holey alias Jan van Helsing, mit kruden verschwörungstheoretischen Büchern zur Corona-Pandemie an die Öffentlichkeit: „Wir töten die halbe Menschheit – und es wird schnell gehen!“ Der Untertitel dieses 2020 mit der US-amerikanischen „Aktivistin“ Eileen DeRolf publizierten Werkes offenbart verschwörungsideologisches wie auch rechtsesoterisches Denken: „Der Plan der Elite, ‚minderwertige Völker‘ über Krankheiten und Seuchen loszuwerden. Der Rest erlebt die grün-sozialistische Neue Weltordnung!“ (Titelcover; Fichtenau 2020).
Familienlandsitze, Antisemitismus und Rassismus
In den letzten Jahren sind mehrere kritische Berichte über die Anastasia-Bewegung erschienen. Ursprünglich geht sie zurück auf eine in russischer Sprache publizierte zehnteilige Buchreihe, die das Märchen der jungen Frau Anastasia erzählt, die in der Taiga lebt und mit Tieren kommunizieren könne. Sie entstamme einer als idealtypisch beschriebenen wedrussischen Kultur. In den Einzelbänden gibt Anastasia dem Ich-Erzähler Einblicke in das Hintergrundgeschehen: Eine Gruppe levitischer Priester (das heißt Juden) sei dabei der heimliche Drahtzieher, die Demokratie sei in Wahrheit eine „Irrokratie“. Auch rassistische Gedanken, die sogenannte Telegonie, lassen sich in den Einzelbänden finden. Mittlerweile sind einzelne Leser*innen dazu übergegangen, das in der Buchreihe entfaltete Gedankengut, den Anastasianismus, mit der Errichtung von Familienlandsitzen in die Praxis umzusetzen. Es handelt sich dabei um mehr als nur ein ökologisches Projekt: Es dient als innerweltliches Paradies. Für Akteur*innen ist die Errichtung des Familienlandsitzes auch ein Einstieg in den Ausstieg aus dem „System“. Etliche haben Verbindungen zur Reichsbürgerszene oder entstammen selbst der extrem rechten Szene. Eine besondere Faszinationskraft geht für manchen von der in den Büchern erwähnten, 2019 geschlossenen Schetinin-Schule in Tekos/Kaukasus aus. Sie wird als Vorbild für kindgemäßes, effektives Lernen geschildert. Kritiker*innen beklagten den dort vorherrschenden militärischen Drill. Ein begeisterter Leser der Anastasia-Buchreihe ist der österreichische Zauberkünstler und Gedächtnistrainer Ricardo Leppe (Jahrgang 1990), der mit seiner Initiative „Wissen Schafft Freiheit“ Impulse für „freies Lernen“ und Lerngruppen fernab des staatlichen Bildungssystems etablieren will. Leppe, dessen Telegram-Kanal rund 40.000 Abonnent*innen hat,[1] wirbt nicht nur für die Germanische Neue Medizin (GNM; siehe unten), sondern auch für die als besonders krude und antisemitisch einzustufende Buchreihe „Thalus von Athos“ von Alf(ons) Jasinski (gest. 2013) und Christa Laib-Jasinski. Ihr verstorbener Ehemann habe ihr die Folgebände angeblich auf medialem Wege übermittelt. Der Untertitel der Reihe, die 2019 im Garten Weden Verlag im bayerischen Dinkelscherben erschienen ist, lautet: „Ein Augenzeuge berichtet über eine Zivilisation im Inneren der Erde. Aus den Tagebüchern eines Ordensmitglieds.“ Darin werden eigenen Angaben zufolge Dialoge mit Bewohner*innen der „Innererde“ dokumentiert. In den Einzelbänden finden sich antisemitisch-verschwörungsideologische Stereotype, antidemokratisches Gedankengut, die Hochschätzung der GNM sowie der Person Wladimir Putins. Höchst irritierend ist der Passus, der sich jeweils im Impressum der Einzelbände findet: „Autor und Verlag lehnen jede Verantwortung gegenüber Missverständnissen bzw. Anklagen ab, die aus oberflächlicher, unvollständiger oder voreingenommener Lektüre dieses Buches entstehen könnte.“
„BioLogisches Heilwissen“ mit Risiken und Nebenwirkungen
Die Germanische Neue Medizin Ryke Geerd Hamers (1935–2017) erfreut sich in der Szene rechter Esoterik hoher Wertschätzung. Sie geht davon aus, dass jede Krankheit durch einen innerseelischen Konflikt ausgelöst wird. Tatsächlich ist sie medizinisch unwirksam und mit höchst gefährlichen Risiken behaftet. Hamers meinte, fünf empirisch gefundene „Biologische Naturgesetze“ würden auf jeden Fall einer Erkrankung bei Menschen, Tieren und Pflanzen zutreffen. Er verbreitete zudem antisemitische Verschwörungsideologien, indem er gegen die „jüdische Schulmedizin“ hetzte. Inzwischen gibt es verschiedene Anbieter*innen, die sich auf die Grundlagen der „Neuen Medizin“ Hamers stützen. So warb Ende Mai 2022 eine Anbieterin in einer Münchner Musikschule für Tagesseminare einer „Interessensgemeinschaft BioLogisches Heilwissen“. Dem verteilten Flyer zufolge soll dadurch jede Krankheit erklärbar und verstehbar werden: „Sie können selbst etwas zu Ihrer Gesundheit und Heilung beitragen und werden unabhängiger von medizinischen Systemen und Beeinflussungen. [...] Die Heilungschancen vergrößern sich, da Auslöser und evtl. Ursache erkannt und gezielt gelöst werden können“ (Flyer BioLogisches Heilwissen; Archiv Pöhlmann). Die Risiken, die sich aus der Hamerschen GNM und ihrer angeblichen „Weiterentwicklung“ ergeben, sind als gefährlich einzuschätzen. Die Vorbehalte gegenüber der evidenzbasierten Medizin sind in der Esoterikszene ohnehin stark ausgeprägt. Dabei kommen auch Verschwörungsideologien ins Spiel. Einzelne Teilnehmer*innen der Veranstaltung in der Münchner Musikschule behaupteten, das „BioLogische Heilwissen“ würde von der milliardenschweren Pharmalobby unterdrückt.
Soziale Emigration oder: Einstieg in den Ausstieg
Rechte Esoterik und ihre Verschwörungsideologien erweisen sich in vielfacher Hinsicht anschlussfähig an gesamtgesellschaftliche Krisenlagen. Sie haben ein marktkonformes Sensorium entwickelt und befeuern ohnehin vorhandene Affekte gegenüber Wissenschaft, Medizin, Religion, Medien und Politik. Andererseits beruft sich rechte Esoterik auf höheres, absolutes Wissen und beansprucht Natürlichkeit und Ursprünglichkeit. Gerade Naturschutz, Ökologie und alternativ-natürliches Heilwissen sind Köder, um Menschen anzulocken. Dass mit den Offerten auch höchst problematisches, antisemitisches wie antidemokratisches Gedankengut meist in codierter Form verbreitet wird, ist Außenstehenden wegen des Glanzes der grünen Schale oft nicht erkennbar. Bei diesen angeblich natürlichen Angeboten können Nutzer*innen in den Sog höchst gefährlicher Ideologien geraten.
Literatur
Heinrich-Böll-Stiftung MV (Hg.) (2012): Braune Ökologen. Hintergründe und Strukturen am Beispiel Mecklenburg-Vorpommerns. Online: https://www.boell.de/sites/default/files/Braune-Oekologen.pdf
Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen (Hg.) (2020): Naturliebe und Menschenhass. Völkische Siedler*innen in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Hessen und Bayern. Erfurt.
Pöhlmann, Matthias (2021): Rechte Esoterik. Wenn sich alternatives Denken und Extremismus gefährlich vermischen. Freiburg/Breisgau.
[1] Seit 2018: „Zur Bedeutung von Social-Media-Kanälen für die Vernetzung rechter Akteur*innen siehe auch den Artikel von Anna Weers „Rechtsesoterische Online-Netzwerke der Anastasia-Bewegung“".
Matthias Pöhlmann
Dr. theol. Matthias Pöhlmann, Jahrgang 1963, ist
Kirchenrat, Landeskirchlicher Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern sowie Lehrbeauftragter für Religionswissenschaft und Religionsgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er hat zahlreiche Publikationen zu Religions- und Weltanschauungsfragen veröffentlicht.
Dieser Artikel ist Teil unserer Handreichung "Grünes Blatt auf braunem Boden. Rechte Ideologien in der Landwirtschaft".