29.02.2024
Die Wildnispädagogik hat in den letzten Jahren in Deutschland an Popularität gewonnen. Ursprünglich in den 1970er Jahren in den USA entstanden profitiert sie vom Wissen indigener Gemeinschaften über das Leben in der Natur (Erxleben 2008, S. 40 f.). Die Gründer Tom Brown und Jon Young haben maßgeblich zur Entwicklung und Verbreitung der Wildnispädagogik beigetragen. Heute gibt es in ganz Deutschland zahlreiche Wildnisschulen, die das Konzept weiterführen und Menschen bei ihren Erfahrungen in der Natur begleiten.
Doch während die Wildnispädagogik zunehmend als bereicherndes Naturerfahrungsangebot wahrgenommen wird, steht sie auch in der Kritik, in ihren Inhalten und Methoden kulturelle Aneignung zu betreiben. Viele Rituale, die an Wildnisschulen durchgeführt werden, wie beispielsweise die „Schwitzhütten-Zeremonie“, sind Teile Indigener Spiritualität und werden oft unhinterfragt genutzt und teilweise sogar missverständlich neu interpretiert. Aber nicht nur die Aneignung kultureller Elemente ist problematisch. Inhalte der Wildnispädagogik können anschlussfähig für extrem rechte Ideologien sein.
In der Wildnispädagogik spielt die Natur eine zentrale Rolle. Ziel ist es, eine positive Verbindung der Menschen zur Natur aufzubauen oder wiederherzustellen (Bruns 2014, S. 33). Um eine tiefe Naturbeziehung zu entwickeln, werden bewusste Naturerfahrungen gemacht, die Emotionalität und Spiritualität miteinschließen (Langenhorst 2016, S. 29). In diesem Zusammenhang kommt es häufig zur romantischen Verklärung der Natur bzw. der „Wildnis“ (siehe dazu die Beiträge von Hennig und von Bell in dieser Handreichung).
Aus diesem romantisch verklärten Naturverständnis folgen auch daran orientierte Geschlechterrollen und -bilder, die mehr oder weniger offen in den Kursen vermittelt und vertreten werden. Traditionelle Geschlechterbilder und eine Ablehnung von Abweichungen davon finden sich auch in der extremen Rechten wieder, aber auch in weiten Teilen der demokratischen Gesellschaft. Insofern bietet beides zumindest Anschlussfähigkeiten an menschenfeindliche Denkmuster (siehe dazu die Beiträge von Hennig und von Bell in dieser Handreichung).
Spiritualität, Esoterik und Neuheidentum
Die Wildnispädagogik hat große spirituelle Anteile, die sich in den Kursprogrammen, wie etwa Ritualarbeit oder Visionssuchen, der Wildnisschulen wiederfinden. Spirituelle Rituale und Zeremonien werden genutzt, um die Naturverbundenheit zu stärken. Kritiker*innen merken jedoch an, dass bei der Vermittlung von religiösen und spirituellen Elementen das Überwältigungsverbot (siehe Beitrag von Jestädt/Manß indieser Handreichung) oft nicht eingehalten werde, eine Gefahr des Missbrauchs und der Indoktrination bestehe, insbesondere wenn die Teilnehmenden nicht vorab über die spirituellen Anteile informiert werden (Langenhorst 2016, S. 70; Maier 2011, S. 29).
Neben den spirituellen Anteilen weist die Wildnispädagogik viele Überschneidungen mit esoterischen Inhalten auf. Esoterik und Spiritualität sind zwei Begriffe, die oft miteinander verwechselt werden, da sie sich in einigen Aspekten überschneiden, aber dennoch verschiedene Konzepte darstellen. Spiritualität beschreibt die Ausrichtung von Menschen auf eine Realität, die über ihre unmittelbaren individuellen Bedürfnisse hinausgeht (Wirtz o. J.). Diese Suche nach Sinn, Bedeutung und einer Verbindung zu etwas Größerem als dem individuellen Selbst kann religiös oder nicht-religiös sein und beinhaltet oft persönliche Entwicklung, Ausdehnung des Bewusstseins sowie das Streben nach tieferer Erkenntnis. Esoterik hingegen zielt eher auf geheime oder verborgene Aspekte der Realität ab, zu denen nur Eingeweihte Zugang haben. Der Esoterikforscher Antoine Faivre beschreibt Esoterik als eine Art Denkform (Faivre 2001, S. 24 ff.). Diese ist weniger häufig in den wildnispädagogischen Ausbildungen vorzufinden, sondern tritt in weiterführenden Kursen, wie etwa zur „Erdphilosophie“ auf.
Ein zentrales Merkmal der Esoterik ist das Vertrauen in eine „höhere Erkenntnis“, die nur einem ausgewählten Kreis zugänglich ist und sich von wissenschaftlichen Prinzipien abgrenzt (Grom 2002, S. 158). Dieses Konzept einer höheren Wissensquelle wird auch in der Wildnispädagogik wahrgenommen, wobei bestimmte weiße Personen angeblich das Wissen Indigener Lehrer*innen erlangt haben (Burckhardt 2023, S. 130).
Auch das für die Esoterik charakteristische Analogiedenken, das auf der Vorstellung einer Verbundenheit aller Dinge beruht (Zinser 2009, S. 69) findet sich in der Wildnispädagogik wieder. Dabei wird die Verbundenheit zur Natur, aber auch zur spirituellen Dimension betont (Burckhardt 2023, S. 130). Das Denken in Analogien birgt die Gefahr einer falschen Verallgemeinerung von Erkenntnissen, beispielsweise wenn der unbelebten Natur psychisches Verhalten zugeschrieben wird. Manche Wildnisschulen empfehlen, auf sogenannte „seelenlose“ Lebensmittel zu verzichten, andere bieten Kurse zur Kommunikation mit „Pflanzenwesen“ an.
Das Motiv der Heilung, das in der Esoterik sehr präsent ist, findet sich auch in der Wildnispädagogik wieder, zum Beispiel in der Vorstellung, dass durch eine „innere Heilung“ in Verbindung mit der Stärkung der Naturverbundenheit Menschen zu „besseren Menschen“ werden und sich dadurch auch die Welt verbessert. In Bezug auf Krankheiten gibt es in der Wildnispädagogik Vorstellungen, die dem Karma-Prinzip ähneln, was potenziell dazu führen kann, menschenverachtende Denkweisen zu legitimieren (Christiansen et al. 2006, S. 229 f.). Mitunter werden Menschen in der Wildnispädagogik für Dinge verantwortlich gemacht, die sie nicht selbst verursacht haben, wie etwa Krankheiten oder Katastrophen im Leben (Burckhardt 2023, S. 131).
Auch Teile der Literatur, die in der Wildnispädagogik verbreitet ist, weisen eine Nähe zur esoterischen und verschwörungsideologischen Szene auf, wie etwa die Publikationen von Wolf-Dieter Storl (Riedel 2021).
Esoterik ist nicht zwangsläufig mit extrem rechten Ansichten verbunden. Sie kann jedoch, wie der Sektenbeauftragte der Bayerischen Landeskirche, Matthias Pöhlmann, beschreibt, aufgrund ihrer Affinität zu Magie, Geheimnissen, antiaufklärerischem Denken und antidogmatischer Haltung für extrem rechte Ideologien anfällig sein (Pöhlmann 2022, S. 15).
Verschwörungsmythen in der Wildnispädagogik
In der Wildnispädagogik kursieren zahlreiche Verschwörungsmythen, die nicht im offiziellen Lehrplan behandelt, sondern eher informell bei Gesprächen am Lagerfeuer ausgetauscht werden. Die Themen reichen von Kritik an Medien über Corona-Leugnung bis hin zu Vorbereitungen auf den vermeintlichen Weltuntergang. Einige Wildnispädagog*innen zeigen ihren Verschwörungsglauben offen nach außen und verbreiten verschwörungsideologische Inhalte über verschiedene Kanäle wie Blogs und soziale Medien.
Auf die Frage, warum Verschwörungsglaube in der Wildnispädagogik so viel Anklang findet, erklärten kritische Wildnispädagog*innen, dass es in der Szene eine Freude am gesellschaftlichen Zerfall gebe und die Vorstellung einer drohenden Apokalypse präsent sei, welche sich bereits in den Büchern von Tom Brown wiederfindet (Burckhardt 2023, S. 133). Damit lassen sich auch die Tendenzen zum Prepping erklären, also zur individuellen Vorsorge für Krisen. Manche Wildnisschulen bieten Kurse an, in denen Menschen sich auf vermeintlich drohende Blackouts oder andere Krisen vorbereiten können.
Nicht jeder Verschwörungsglaube führt zwangsläufig zu extrem rechten Positionen. Dennoch haben die Ergebnisse der Mitte-Studie 2020/21 gezeigt, dass eine Korrelation zwischen Verschwörungsglauben und rechtspolitischer Verortung besteht (Nocun/Lamberty 2020, S. 295).
Trotz all dieser problematischen Aspekte findet in der Wildnispädagogik kaum eine kritische Auseinandersetzung mit der Anschlussfähigkeit für extrem rechte Ideologien statt. Durch einen regelrechten Positivitätsdruck werden kontroverse Themen häufig ausgeblendet, Kritik wird nicht gerne gehört und führt oft zu Abwehrreaktionen (Burckhardt 2023, S. 135 f.). Auch das positive Selbstbild und der Dogmatismus in der Wildnis-Szene erschweren eine kritische Auseinandersetzung mit der Anschlussfähigkeit für extrem rechte Ideologien. Außerdem fehlt vielen Wildnisschulen das Bewusstsein, warum eine klare Distanzierung von extrem rechten Ideologien wichtig ist. Es gibt jedoch einige positive Beispiele für kritische Auseinandersetzung in der Wildnispädagogik, jedoch hauptsächlich zum Thema kulturelle Aneignung. Schlussendlich besteht ein dringender Handlungsbedarf, um zu verhindern, dass extrem rechte Ideologien in der Wildnispädagogik Fuß fassen und sich verbreiten.
Literatur und Quellen:
Bruns, S. (2014): Wildnispädagogik. Historische und aktuelle Entwicklungen. Masterarbeit. Alfter. Online: https://wildnisschule-lupus.de/wp-content/uploads/2020/10/Die-Geschichte-der-Wildnispaedagogik-Historische-und-aktuelle-Entwicklungen.pdf
Burckhardt, J. (2023): Anschlussfähigkeit der Wildnispädagogik für extrem rechte Ideologien – Eine Analyse der potenziellen Anknüpfungspunkte. Masterarbeit. Eberswalde. n. v.
Christiansen, I./Fromm, R./Zinser, H. (2006): Brennpunkt Esoterik. Okkultismus, Satanismus, Rechtsradikalismus. Hamburg: Behörde für Inneres, Landesjugendbehörde.
Erxleben, A. (2008): Einheimisch werden in der Natur. Untersuchung zur Wirkung ursprünglichen, ganzheitlichen Lernens in Wildnisschulen als Beitrag zur Umweltbildung. Diplomarbeit. Eberswalde. Online: https://www.wildniswissen. de/images/fab_media/Diplomarbeit_Wildnis.pdf
Faivre, A. (2001): Esoterik im Überblick. Geheime Geschichte des abendländischen Denkens. Freiburg im Breisgau: Herder. Herder-Spektrum.
Langenhorst, B. (2016): Wildnisbildung und nachhaltige Entwicklung. Theorie, Praxis und Evaluation am Beispiel des Projektes „Waldscout – Wildnisexpedition“. Hamburg: Verlag Dr. Kovač.
Maier, B. (2011): Wildnispädagogik. Ein Beitrag zur ökologischen Bildung. Bachelorarbeit. Esslingen. Online: https://hses.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/index/docId/81/file/11_05_24_Bachelorarbeit_Fertig_Komplett.pdf
Nocun, K./Lamberty, P. (2020): Fake facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen. Köln: Quadriga.
Pöhlmann, M. (2022): Rechte Esoterik. Wenn sich alternatives Denken und Extremismus gefährlich vermischen. Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
Riedel, F. (2021): Wolf-Dieter Storl und die Rechte. Online: https://www.nf-farn.de/wolf-dieter-storl-rechte
Trommer, G. (1992): Wildnis. Die pädagogische Herausforderung. Weinheim: Deutscher Studien Verlag.
Wirtz, M. (o. J.): Spiritualität. In: Dorsch. Lexikon der Psychologie. Online: https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/spiritualitaet
Zinser, H. (2009): Esoterik. Eine Einführung. Paderborn: Wilhelm Fink Verlag.
Josephine Burckhardt
Die Autorin ist Studentin an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde und hat im Rahmen ihrer Masterarbeit zu den Anknüpfungspunkten der Wildnispädagogik an extrem rechte Ideologien geforscht.
Dieser Artikel ist Teil unserer Handreichung Die extreme Rechte und Menschenfeindlichkeit in der Umweltbildung.