
Mehr als 70 Menschen kamen am 6. und 7. November 2019 zur Fachtagung der Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz in die Jugendherberge Ostkreuz in Berlin und tauschten sich zu Radikalisierungstendenzen und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im Natur- und Umweltschutz aus.
Die Tagung bot Vorträge, Workshops und Diskussionen rund um Themen des Natur- und Umweltschutzes und die gesellschaftlichen Herausforderungen durch eine starke politische Rechte. Denn die Lösungsansätze für beispielsweise die Klimakrise sind nicht alle antirassistisch und demokratisch. Daher ist es notwendig, Ansätze stets (selbst-) kritisch zu hinterfragen. Ziel der Tagung war es, den Transfer der vermittelten und diskutierten Inhalten in die Praxis der ehren- oder hauptamtlichen Arbeit und das Knüpfen neuer Kontakte zu ermöglichen.
Hierfür sollte allerdings nicht nur auf den sogenannten extremen Rand unserer Gesellschaft geschaut werden. Es sollte vielmehr auch der Blick auf die sogenannte Mitte der Gesellschaft und den demokratischen Natur- und Umweltschutz gerichtet werden. Welche Phänomene gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit finden sich dort und sind wir uns dessen eigentlich bewusst?
Programm
Am Abend des 6. November eröffnete die Historikerin und freie Journalistin Susanne Götze die Fachtagung mit einem Vortrag zu den Netzwerken von Klimaleugner*innen und deren Argumentationen. Sie stellte Teile ihrer Recherchen zu internationalen Treffen der „Klimaschmutz-Lobby“ vor und gab einen Einblick in die Mechanismen der Netzwerke und die Interessen der verschiedenen Akteur*innen, die an fossilen Energieträgern festhalten.
Die anschließende Diskussion moderierte Marie-Luise Abshagen, Referentin für Nachhaltige Entwicklung des Forums Umwelt & Entwicklung und Mitglied des FARN-Fachbeirats. Thematisiert wurden noch offene Fragen und sich daraus ergebende Konsequenzen für den Umgang mit Klimawandelleugnung. Aus dem Plenum gab es dazu viel Interesse und Erstaunen über die hinter den Klimawandelleugner*innen stehenden – teils internationalen – Netzwerke. Es kam die drängende Frage nach konkreten Handlungsempfehlungen im Umgang mit Verschwörungsmythen auf – sowohl im persönlichen Umfeld als auch im gesellschaftlichen Kontext. Deutlich wurde vor allem der große Bedarf an systematischer und regelmäßiger Aufklärung über Zusammenhänge, Interessen und Argumentationen der Klimawandelleugner*innen.
Zum Weiterlesen:
www.movum.info/themen/weltanschauung/561-alles-soll-so-bleiben-wie-es-ist
www.sueddeutsche.de/wissen/klimawandel-die-braungruenen-1.3658420
www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/dresdner-erklaerung-das-nationalistische-umweltverstaendnis-der-afd-a-1279206.html
Der zweite Tag begann mit einer Begrüßung durch Lukas Nicolaisen (Fachstellenleitung FARN), der den Blick auf ökologische Konzepte und Projekte der extremen Rechten in der jüngsten Zeit richtete. Seit FARN Ende 2017 die Arbeit aufgenommen hat, ist das Interesse für Umweltthemen in der Gesellschaft – nicht zuletzt durch die Fridays-for-Future-Bewegung – gestiegen und parallel dazu haben die Aktivitäten rechter Gruppierungen im Natur- und Umweltschutz deutlich zugenommen. Die Beschäftigung mit dem Thema Naturschutz von Rechts wurde damit umso drängender.
Im Anschluss berichteten in einem Impulsvortrag Johanna Pangritz und Nico Mokros vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld von ihren Forschungen zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF). Sie erläuterten die Ansätze des Konzeptes, das eine differenzierte Betrachtungsweise diskriminierender Einstellungen in der Gesellschaft ermöglicht. Exemplarisch stellten sie Ergebnisse aus der „Mitte-Studie“ vor, die zeigen, wie stark abwertende Einstellungen auch in der Mitte der Gesellschaft vorhanden sind. Diese Perspektive traf in der anschließenden Diskussion auf Zustimmung, da sie den Blick von den sogenannten extremen Rändern der Gesellschaft löst. Wenngleich es auch Kritik an einzelnen Aussagen der Studie gab, erwies sich die Vorstellung des Konzepts und der Studie für den weiteren Verlauf der Tagung als überaus hilfreich.
Zum Weiterlesen:
www.fes.de/forum-berlin/gegen-rechtsextremismus/mitte-studie
In den anschließenden zwei Workshop-Phasen am Vor- und Nachmittag konnten sich die Teilnehmenden jeweils in drei parallel stattfindende Workshops aufteilen.
Forum I
Im Workshop Ökologie als Herrschaftskritik stellten Carla und Marvin (Bundeskoordination Internationalismus, BUKO) die grundlegende Frage, wie Ökologie gleichzeitig auch als Herrschaftskritik verstanden werden kann. In einem methodischen Vorgehen wurden die eigenen Privilegien hinterfragt und sich daraus ableitende Fragen nach Herrschaftskritik für eine wirkliche Umwelt- und Klimagerechtigkeit diskutiert.
Manuela Freiheit vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld stellte die Frage: Wie kann gute Präventionsarbeit gegen Radikalisierung gelingen? Sie legte ausführlich dar, wie sich das Feld der Radikalisierungsprävention in Deutschland strukturiert und welche unterschiedlichen Ansätze möglich sind. Die Teilnehmenden diskutierten anhand einzelner Beispiele und Erfahrungen das Verständnis von Radikalisierung als Prozess und es wurde über nachhaltige Präventionsstrategien im Bereich des Natur- und Umweltschutzes beraten.
Zum Weiterlesen:
www.mapex-projekt.de/aktuelles.html
Im Workshop Weniger Klimawandel durch weniger Menschen? thematisierte Daniela Gottschlich (diversu e.V.) die feministische Kritik an bevölkerungspolitischen Maßnahmen zum Wohle des Natur- und Umweltschutzes. Wenn es um die Eindämmung des Klimawandels geht, mehren sich Stimmen aus allen politischen Lagern nach einer restriktiven Bevölkerungspolitik und der Einschränkung des weltweiten Bevölkerungswachstums. Doch kann das überhaupt eine Lösung sein? Welche Menschen wären denn zu viel? An vielen Beispielen konnten die Teilnehmenden rassistische und antifeministische Denkmuster und Strukturen erkennen, diskutieren und wurden zur Reflektion eingeladen.
Zum Weiterlesen:
www.nf-farn.de/weniger-klimawandel-weniger-menschen
Forum II
Der Journalist Raimond Lüppken stellte seine Recherchen zur rechts-esoterischen Anastasia-Bewegung vor. Die Bewegung bezieht sich auf eine zehnbändige Romanreihe und findet vermehrt Anhänger*innen im deutschsprachigen Raum. Bei dem Vortrag wurde deutlich, dass es trotz zunächst absurd erscheinender Ideen und Ansichten schnell gefährlich werden kann – etwa wenn es um Pseudomedizin oder die Vernetzung mit dem gewaltbereiten Rechtsextremismus geht. Für die Teilnehmenden war klar, dass ein harmloser Schein vom Öko-Paradies leicht über antidemokratische Absichten hinwegtäuschen kann.
In einem weiteren Workshop beschäftigten sich die Teilnehmenden damit, Klimagerechtigkeit antirassistisch und antifaschistisch zu denken. Die Politikwissenschaftlerin Katrina Mc Kee thematisierte einerseits die Narrative der Rechten im globalen Umweltkontext, aber andererseits die Notwendigkeit, den Blick auch stets nach „innen“ zu richten. Die Reflektion von teilweise unbewussten Machtstrukturen im eigenen Umfeld ist für einen antirassistischen Ansatz zur Umweltgerechtigkeit genauso unabdingbar wie der Blick nach außen.
Zum Weiterlesen:
www.nf-farn.de/love-nature-not-fascism-demokratischen-umwelt-naturschutz-gestalten
Das zweite Forum wurde komplettiert durch die Beschäftigung mit Rechtsextremismus im Internet. Michael Hebeisen (Fachreferent von jugendschutz.net) gab zunächst einen Überblick über Online-Strategien und -Ziele der zahlreichen rechtsextremen Akteur*innen und wies auf deren Mechanismen zur Verbreitung von menschenverachtenden Inhalten hin. Nach einer Arbeitsgruppenphase wurde deutlich, dass es einer ständigen Aufklärung und Auffrischung der Medienkompetenzen aller Altersgruppen bedarf, um Radikalisierungsprozesse im Internet zu erkennen und zu verhindern – und sie sich dennoch wohl nie ganz verhindern lassen werden.
Zum Weiterlesen:
www.jugendschutz.net
Schlussplenum
Um alle Teilnehmenden über die wichtigsten Ergebnisse der Foren zu informieren, fassten drei Personen, die als Beobachter*innen an den Workshops teilgenommen hatten, jeweils in einer kurzen Fragerunde anhand von Leitfragen die zentralen Aussagen und Ansätze für einen möglichen Praxistransfer für die Arbeit der Teilnehmenden zusammen. Wir danken allen Teilnehmenden und Referent*innen für ihre engagierte Mitarbeit!