Das Leben im Einklang mit der Natur ist eine immer wiederkehrende Forderung in der Ökologiebewegung. Dieser Tage hört man sie wieder besonders oft und besonders laut. Der Klimawandel, die Ressourcenübernutzung und der Verlust von Biodiversität lassen zurecht Zweifel aufkommen am Menschen und seinem Wirken in der Welt. Die Frage, wie „das Schlimmste“ noch abgewendet werden kann, scheint drängender als je zuvor. Der Wunsch nach möglichst einfachen Lösungen ist groß. Die Idee sich Gesetzmäßigkeiten zu unterwerfen, die nicht erst erfunden werden müssen, die unveränderbar sind und die für alle Lebewesen gleichermaßen gelten, ist verlockend. Hier kommt die Vorstellung von allgemeingültigen Naturgesetzen gerade recht.
Der Gedanke, dass der Mensch auch nur ein Tier (unter vielen Tieren) ist und sich deshalb den „natürlichen“ Gegebenheiten ebenso zu unterwerfen hat wie alle anderen Tiere auch, scheint für viele Natur- und Umweltschützer alternativlos. Alternativlos deshalb, weil innerhalb dieses Gedankenmodells, bei Nicht-Einhaltung der Naturgesetze die Zerstörung des gesamten Planeten oder doch zumindest die Auslöschung der gesamten Menschheit droht.
Der Mensch müsse deshalb von seinem hohen Thron herabsteigen, er dürfe sich nicht länger als Krone der Schöpfung begreifen, er müsse sich üben in Demut und Ehrfurcht. Alle Ethik müsse biologischer Natur sein. Dann und nur dann sei dieser Planet vielleicht noch zu retten.
Diese Philosophie trifft jedoch nicht nur in der Ökologiebewegung auf große Zustimmung. Auch in rechtsextremen Strömungen und Bewegungen erfreut sie sich großer Beliebtheit.
Die Forderung nach einem Leben im Einklang mit der Natur ist eine der Leitlinien in der antiemanzipatorischen Politik.
Warum das so ist, ist leicht einzusehen: Wenn die Verfolgung der ökologischen Fragestellung in der Politik, aber auch im Alltag, eine existentielle Forderung darstellt, dann ist es nur logisch diese „natürlichen“ Gesetzmäßigkeiten auch zum Maßstab von menschlichem Sozialverhalten zu machen. Das würde bedeuten, dass das Sozialverhalten eines jeden Menschen auf seine „Natürlichkeit“ hin überprüft werden müsste, um seine Wertigkeit festzustellen. „Natürliches“, wertvolles Sozialverhalten müsste diesem Modell folgend gefördert und unterstützt werden, während unnatürliches, „unwertvolles“ Sozialverhalten gehemmt und letztlich ausgelöscht werden müsste.
Diese Vorgehensweise, also die Übertragung von Gesetzen aus dem Tier- und Pflanzenreich auf menschliche Gesellschaften, bezeichnet man als Biologismus.
Der Biologismus wiederum gehört zum Standardinventar aller rechtsextremen Ideologien. Unter Zuhilfenahme von angeblichen ökologischen Gesetzmäßigkeiten wie zum Beispiel dem „Kampf ums Dasein“, dem „Überleben des Stärkeren“ aber auch sämtlichen Triebtheorien (Sexualtrieb, Territorialtrieb, Aggressionstrieb etc.), soll bewiesen werden, dass es zwischen Menschen eine ganz natürliche Ungleichwertigkeit gibt.
Hierarchien und Eliten auf der einen Seite und Ausbeutung und Unterdrückung auf der anderen Seite sind demnach nur Ausdruck der Natur und deshalb auch gut. Sämtliche emanzipatorischen Bewegungen hingegen sind unnatürlich. Die Forderungen von „Minderheiten“ wie etwa Frauen, Migranten, Homosexuellen, Behinderten und anderen. nach rechtlicher und gesellschaftlicher Gleichstellung sind demnach abzulehnen. Die Erfüllung dieser Forderungen werden als Anzeichen für eine degenerierte Gesellschaft die die Naturgesetze nicht respektiert und deshalb über kurz oder lang durch die Natur selbst mit Auslöschung bestraft wird interpretiert.
Was bedeutet das nun für Natur- und Umweltschützer? Ist das Leben im Einklang mit der Natur etwa kein erstrebenswertes Ziel?
Richtig ist mit Sicherheit, dass angesichts der wahrhaft großen ökologischen Krisen ein Umdenken notwendig ist. Ein „weiter wie bisher“ ist nicht denkbar. Jedenfalls dann nicht, wenn man den nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Welt hinterlassen möchte.
Die Lösung kann aber unmöglich ein menschenverachtendes, antimodernes „Back to Nature“ sein. Unter diesen Vorzeichen entsteht keine lebenswerte Welt für alle, sondern höchstens eine weltweite Hölle. Um die Probleme unserer Zeit zu lösen braucht es nicht weniger Humanität, sondern mehr.
Was also dann? Ein guter Anfang könnte ein Perspektivwechsel sein. Die Umweltethikerin Uta Eser schreibt dazu:
"Naturverbundenheit ist eine Option, die man wählen kann, aber nicht muss. Wenn man sie wählt, ist dies ein Akt der Humanität, nicht eine Unterwerfung unter vermeintliche Gesetze der Natur. Diesen Unterschied zwischen Freiheit und Abhängigkeit möchte ich mit Erich Fromms Unterscheidung von kindlicher und reifer Liebe markieren. Kindliche Liebe resultiert aus existentieller Angewiesenheit: Sie sagt: 'Ich liebe Dich, weil ich dich brauche.' Im Unterschied dazu konstituiert reife Liebe erst das Bedürfnis nach dem Anderen. Sie sagt: 'Ich brauche dich, weil ich dich liebe.'" (Uta Eser, 2016)