
Soziale Arbeit, Umwelt- und Naturschutz, Demokratiebildung und Prävention gegenüber Rechtsextremismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit: In welchem Verhältnis stehen diese Begriffe zueinander, welche Beziehungen existieren zwischen diesen Kontexten? Kann „die“ Soziale Arbeit ein Partner in der Arbeit gegen Menschenfeindlichkeit und für Demokratie im Kontext Umwelt- und Naturschutz sein? Diese Frage soll im Mittelpunkt des folgenden Beitrags stehen. Dabei werden zunächst kurz auf theoretischer Ebene Schnittstellen thematisiert und anschließend anhand von zwei Praxisfeldern der Sozialen Arbeit mit Beispielen illustriert.
Praxisfelder und Themen – Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession
Soziale Arbeit besteht aus vielen verschiedenen unterschiedlichen Handlungs- und Praxisfeldern, die aus ihren je unterschiedlichen historischen Kontexten eher den sozialarbeiterischen oder sozialpädagogischen Prämissen zugeordnet werden können. In Bezugnahme auf die sozialarbeiterische Traditionslinie ist es die direkte Unterstützung bei sozialen Problemen und Konflikten, in der sozialpädagogischen Traditionslinie die öffentliche und institutionalisierte Erziehung, die der Lebensbewältigung dienlich sein soll. Beide Perspektiven greifen eng ineinander und finden im Begriff der Sozialen Arbeit einen gemeinsamen Nenner.
So reicht das Handlungsspektrum von den Frühen Hilfen über die Kinder- und Jugendhilfe bis zu den Bereichen Gesundheit und Demographie, Alter oder Hilfen in stationärer Jugendhilfe wie den Kinder- und Jugendheimen. Die Entwicklung von Unterstützung in prekären Lebenslagen etwa im Kontext Armut oder Sucht ist also ebenso Teil der Sozialen Arbeit wie internationale Jugendarbeit, Streetwork, Beratung, Arbeit mit Menschen mit Behinderungen, die Jugendgerichtshilfe oder offene Jugendarbeit. Es existiert insofern kein einheitliches Profil oder Konzept. Soziale Arbeit ist vielmehr ein Portfolio unterschiedlicher Bezugnahmen auf Adressat*innen, Orte, Räume, Ansätze, Ziele, Methoden und Konzepte. Gleichzeitig gibt es auf normativer Ebene bestimmte Ankerpunkte, die für die Disziplin der Sozialen Arbeit von Relevanz sind und einen Ankerpunkt für die Themen Demokratieförderung und Prävention gegen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bieten können.
Zu den theoretischen und normativen Bezugnahmen, die für die Soziale Arbeit von wesentlicher Bedeutung sind, zählt insbesondere die Definition Sozialer Arbeit, die von der International Federation of Social Work entwickelt wurde und einen weltweiten Bezugspunkt für Disziplin und Profession darstellt. In der deutschen Fassung von 2016 heißt es: „Soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage der Sozialen Arbeit“ (DBSH 2016). Insbesondere die Bezugnahme auf die Selbstbestimmung, auf die Menschenrechte und die Achtung der Vielfalt können als Ansatzpunkte für demokratiepädagogische und rassismus- und diskriminierungspräventive Positionen verstanden werden. Für Vertreter*innen dieser normativen Bestimmung steht fest: Menschenfeindliche und abwertende Positionen gehen nicht mit dem professionsimmanenten Mandat einher. Auch auf rechtlicher Ebene finden sich etwa in den Bestimmungen des Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) mit den Postulaten der Partizipation, Teilhabe, dem Anspruch, Kinder- und Jugendhilfe richte sich an alle Kinder und Jugendlichen, Richtwerte für eine nicht-diskriminierende Soziale Arbeit.
Allerdings muss einschränkend betont werden, dass sich auch die Soziale Arbeit nicht frei machen kann von Landnahmeversuchen durch Akteur*innen mit Ideologien der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit oder der neuen beziehungsweise extremen Rechten. Eine aktuelle Studie zeigt exemplarisch für Nordrhein-Westfalen, dass es durchaus Beispiele für sozialarbeiterische Angebote aus dem Kontext der extremen Rechten oder externe Einflussnahmeversuche gibt (Gille/Jagusch 2019) und es auch auf konzeptioneller Ebene Anschlüsse geben kann. Es gilt also in jedem Fall, normative Bezüge wie die Menschenrechtsorientierung nicht als per se gegeben anzunehmen, sondern stets wachsam zu sein und Versuchen der Kaperung oder Diskursverschiebungen entgegen zu treten. Gleichwohl bietet Soziale Arbeit mit ihren verschiedenen Handlungsfeldern unterschiedliche Anknüpfungspunkte, um Beiträge für demokratiefördernde Prozesse auch im Kontext des Umweltschutzes liefern. Im Folgenden soll anhand von zwei exemplarischen Beispielen nachgezeichnet werden, wo und wie derartige Schnittmengen bestehen können. Dabei haben die Beispiele nur exemplarischen Charakter. Auch in anderen Handlungsfeldern lassen sich Bezüge herstellen.
Anknüpfungspunkte für Prävention von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Demokratieförderung: zwei exemplarische Handlungsfelder
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Gemeinwesenarbeit
Die Gemeinwesenarbeit ist neben einzel- und gruppenbezogenen Ansätzen innerhalb der Sozialen Arbeit ein wichtiger Bereich, der insbesondere daraufhin ausgerichtet ist, nicht nur mit Individuen zu arbeiten, sondern die sozialräumlichen Aspekte in den Vordergrund der Arbeit zu stellen. So geht es der Gemeinwesenarbeit darum, dass Soziale Arbeit die Verbindungen zwischen Individuum, Raum und Struktur in den Blick nimmt. Damit richtet Gemeinwesenarbeit den Blick zwangsläufig auch auf Themen wie Sozialstrukturen, Milieus, strukturelle Verortungen, Umwelt und soziale Entwicklungsbedarfe innerhalb eines Gebietes und sucht nach Möglichkeiten, in positiver Weise einen Sozialraum mitzugestalten. Ein Kerngedanke hierbei ist es, möglichst alle Perspektiven innerhalb des Sozialraums zu berücksichtigen, auch diejenigen, die oft ungehört bleiben. Eine Methode ist es, nach sogenannten Entrüstungspunkten zu suchen. Entrüstungspunkte sind Themen, Entwicklungen, Veränderungen oder Ereignisse, die die Menschen vor Ort bewegen, irritieren, verärgern, besorgen oder empören und – das ist ein wesentlicher Aspekt – zu deren Veränderung sie etwas beitragen können und wollen.
Es geht der Gemeinwesenarbeit also nicht nur darum, gesellschaftlich relevante Themen zu identifizieren, sondern auch nach Wegen zu suchen, wie innerhalb eines sozialräumlichen Kontextes Veränderungen herbeigeführt werden können. Dazu spielen Sozialraumanalysen eine wesentliche Rolle. Eine Methode, die in den USA entwickelt wurde und die in Deutschland immer stärkere Bedeutung gewinnt, ist hierbei das Community Organizing, das ab Mitte des 20. Jahrhunderts in den USA entwickelt wurde. Es basiert auf dem Motto „zuhören, recherchieren, handeln“ und will Menschen dazu aktivieren, an der Veränderung von als problematisch wahrgenommenen Verhältnissen vor Ort mitzuwirken. Dabei leben Ansätze des Community Organizing von Beteiligung, demokratischen Prozessen und der Aktivierung des Potentials der Bewohner*innen. So existiert bereits eine Reihe von Projekten, die nach den Prinzipien des Community Organizing im Kontext der Demokratieförderung und Prävention von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit arbeiten, wie etwa das Integrationshaus e. V. in Köln (siehe https://ihaus.org/).
Eine andere Möglichkeit liegt in der Implementation von Projekten der Community Communication, wie es etwa das Mobile Beratungsteam Berlin für Demokratieentwicklung vorstellt (SPI 2017). Hier geht es insbesondere darum, durch partizipative Formate des Dialogs möglichst allen Personen innerhalb eines Sozialraums Gehör zu verschaffen, Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten zu schaffen und auf der Basis gegenseitigen Respekts Dialoge zu ermöglichen. Derartige Ansätze der Gemeinwesenarbeit beziehungsweise des Community Organizing können auch für den Kontext der Entwicklung demokratiefördernder Maßnahmen im Umweltschutz adaptiert werden. Wenn etwa in einer Gemeinde Windräder entstehen sollen und eine Gruppierung aus dem extrem rechten Spektrum dies zum Anlass nimmt, um durch lautstarken Protest zu versuchen, eine Dorfgemeinschaft hinter sich – und damit auch implizit die damit verbundenen rassistischen extrem rechten Positionen – zu bringen, können Gemeinwesenarbeiter*innen dabei unterstützen, über Community Organizing den extrem rechten Agitator*innen, die vermeintlich im Namen der Natur auftreten, den Boden zu entziehen. Dies nicht durch Verbote, sondern durch die Mobilisierung der Bewohner*innen hinter der Argumentationslinie von demokratischem, partizipativem und nicht-völkisch-nationalistischen Ideen.
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Kinder- und Jugendhilfe: Beispiel Jugendsozialarbeit
Ein anderes Handlungsfeld, in dem große Schnittmengen zu demokratiefördernden und gegen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit angelegten Maßnahmen vorhanden sind, ist die Kinder- und Jugendhilfe. Neben etwa erzieherischen Hilfen, Familienberatungsangeboten, sozialpädagogischen Gruppenangeboten oder dem Kinder- und Jugendschutz gehören auch die Jugendarbeit oder auch die Jugendsozialarbeit in den Kontext der Kinder- und Jugendhilfe. Jugendverbände oder die Offene Kinder- und Jugendarbeit sind seit vielen Jahren schon ein wesentlicher Motor bei der Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, von dem auch wichtige Impulse ausgehen. Einrichtungen wie das Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e. V. (IDA) bieten hier seit mehreren Jahrzehnten Unterstützung (siehe www.IDAeV.de). Aber auch die Jugendsozialarbeit kann ein wichtiger Partner bei der Entwicklung von Maßnahmen sein.
Ziel der Jugendsozialarbeit ist es dabei, jungen Menschen, die sich in prekären Lebenslagen befinden – insbesondere in den Kontexten Bildung und Arbeitsmarkt – gezielt sozialpädagogische Unterstützung anzubieten. Neben offenen Angeboten, mobiler und aufsuchender Arbeit, existiert auch ein großes Spektrum an Projekten und Aktivitäten, die als Gruppen- oder Einzelmaßnahmen junge Menschen bis 27 Jahre adressieren. So können Angebote der arbeits- und berufsbezogenen Jugendsozialarbeit, Maßnahmen der Schulsozialarbeit oder auch das Jugendwohnen wichtige Partner im Kontext der Demokratieförderung und Prävention von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sein. Sie adressieren Jugendliche in den Phasen, die häufig von besonderen Unsicherheiten, Ängsten oder auch existentiellen Problemen geprägt sind. Dazu gehört etwa der Übergang von der Schule in den Beruf, der Umgang mit schulischen Problemen, die Suche nach einer passgenauen Ausbildungsstelle oder der Umgang mit der Tatsache, dass ebendiese nicht gefunden werden kann. Zahlreiche Beispiele aus der Praxis zeugen von der bereits vorhandenen wichtigen Schnittstelle zwischen Demokratieförderung/Prävention von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Jugendsozialarbeit (Beispiele finden sich unter anderem unter www.vielfalt-mediathek.de).
Um konkret zu zeigen, wie hier Ansatzpunkte entstehen können, soll folgendes fiktives Beispiel dienen: In einer berufsvorbereitenden Maßnahme sollen die Teilnehmenden ein Projekt zum Thema Nachhaltigkeit und Klimawandel entwickeln und umsetzen. Zwei Jugendliche äußern Kritik an dem Projekt, weil „doch eigentlich die Leute in Afrika schuld seien“. Hier könnte die Projektleitung ansetzen und das Thema Umwelt- und Naturschutz im Kontext von Postkolonialismus, transnationalen Verflechtungen und gesellschaftlicher Verantwortung diskutieren und damit die Ideologie der Neuen Rechten, die der Kritik immanent ist, dechiffrieren. So kann eine Verbindung zwischen politischer und berufsorientierter Bildung unter dem thematischen Mantel von Umwelt- und Naturschutz gelingen.
Fazit
Die beiden vorgestellten Handlungsfelder stehen hierbei nur exemplarisch für die grundsätzliche Möglichkeit, Akteur*innen, Einrichtungen oder Gremien der Sozialen Arbeit für Projekte und Maßnahmen im Kontext Umwelt- und Naturschutz zu gewinnen. Die Handlungsfelder, Methoden, Institutionen und Konzepte der Sozialen Arbeit bieten ein reichhaltiges Spektrum an Möglichkeiten, um Maßnahmen zur Prävention von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit – sei es allgemein oder im Kontext Umweltschutz – zu entwickeln. Es ist also keine Frage des „ob“, sondern des wie. Eine konzeptionelle Verpflichtung auf die Erfüllung der Menschenrechte und Demokratisierung der Gesellschaft und eine rassismuskritische Haltung muss sowohl nach innen wie nach außen sichtbar kommuniziert werden. Dabei geht es zum einen darum, auf konkrete (Vor)fälle zu reagieren und Stellung zu beziehen. Zum anderen gilt es, diese Positionierungen innerhalb von Einrichtungen zu institutionalisieren und dadurch zu einer gelebten Selbstverständlichkeit zu machen.
Mit dem Postulat der Menschenrechtsorientierung, das für viele Bereiche der Sozialen Arbeit handlungsleitend ist, können Einrichtungen, Akteur*innen oder Projekte der Sozialen Arbeit wichtige Partner*innen im Kontext Umwelt- und Naturschutz sein. Zahlreiche Beispiele aus der Praxis belegen bereits die vorhandenen Schnittstellen. Wichtig ist dabei stets der gegenseitige Austausch, das Wissen der einzelnen Akteur*innen über und voneinander und damit auch die gute Vernetzung vor Ort. Neben den je spezifischen Akteur*innen auf lokaler Ebene lohnt hierbei auch eine Vernetzung mit den landes- und bundesweiten Gremien, Fachstellen und verbandlichen Strukturen der Sozialen Arbeit, gerade wenn es um die Frage der Positionierung und Entwicklung von Strategien geht.
Literatur
Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit (DBSH) (2016): Deutschsprachige Definition Sozialer Arbeit. Abgerufen am 8.8.2019. Verfügbar unter www.dbsh.de/fileadmin/redaktionell/bilder/Profession/20161114_Dt_Def_Sozialer_Arbeit_FBTS_DBSH_01.pdf.
Gille, Christoph/Jagusch, Birgit (2019, i. E.): Die neue Rechte in der Sozialen Arbeit. Exemplarische Analysen, Düsseldorf.
Stiftung SPI – Sozialpädagogisches Institut Berlin (2017): Community Communication. Diskursive Beteiligung im Gemeinwesen. Verfügbar unter www.stiftung-spi.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/veroeffentlichungen/srup_lebenslagen/mbt_community-communication-broschuere.pdf.
Birgit Jagusch
Dr. Birgit Jagusch ist Professorin für Soziale Arbeit und Diversität an der TH Köln. Zu den Lehr- und Forschungsschwerpunkten gehören Rassismuskritik, Jugendarbeit, Kinderschutz, Intersektionalität und diversitätssensible Öffnung von Institutionen der Sozialen Arbeit.
Der Artikel ist Teil der Broschüre Prima Klima? Natur- und Umweltschutz in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung